24. November 2016
bis 19. März 2017

Geschlechterkampf

Franz von Stuck
bis
Frida Kahlo

Was sind Sie?

In welchem Verhältnis stehen Mann und Frau zueinander? Was sind die Unterschiede, und worin liegen die Gemeinsamkeiten? Welche Rollen und Aufgaben kommen den Geschlechtern zu?

Im Zuge einer sich formierenden weiblichen Emanzipationsbewegung stellen sich diese Fragen Mitte des 19. Jahrhunderts immer drängender. Während der folgenden 100 Jahre ist das Geschlechterverhältnis gravierenden Veränderungen unterworfen. Auch Künstlerinnen und Künstler greifen das Thema des Geschlechterkampfes in ihren Werken auf.

Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter.

August Bebel, 18831

Übermässige Gehirnthätigkeit macht das Weib nicht nur verkehrt, sondern auch krank.

Paul Julius Möbius, 19002

Was die Frau kann, das wissen wir nicht, denn sie ist, seit wir die Geschichte kennen, das durch unsere Schuld unterdrückte und verkrüppelte Geschöpf (…).

Robert Blum, 18483

Der reine Mann ist das Ebenbild Gottes, des absoluten Etwas, das Weib, auch das Weib im Manne, ist das Symbol des Nichts.

Otto Weininger, 19034

Dem Manne der Staat, der Frau die Familie!

Meyers Konversations­lexikon, 18945

Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, dass das Weib weder zu großen geistigen noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist.

Arthur Schopenhauer, 18516
Alice Guy, Les Résultats du féminisme (Die Folgen des Feminismus), 1906, Gaumont Pathé archives

Die Welt steht Kopf

Die Frau raucht lässig mit hochgelegten Füßen, während die Männer gewissenhaft nähen und bügeln.

Humorvoll vertauscht Alice Guy in ihrem Film „Les Résultats du féminisme“ (Die Folgen des Feminismus) die tradierten Geschlechterrollen. Dabei kritisiert sie die herrschenden Verhältnisse zwischen Mann und Frau: Am Ende des Films erobern sich die von der häuslichen Arbeit und Kindererziehung frustrierten Männer ihre gesellschaftlichen Freiheiten wieder zurück.

Im 19. Jahrhundert hat sich die weibliche Emanzipationsbewegung zwar rasch ausgebreitet, doch noch immer bilden zu Beginn des 20. Jahrhunderts Ehe und Familie den weiblichen Lebensmittelpunkt. Von einer den Männern gleichgestellten Position sind Frauen noch weit entfernt.

Das Geschlechter­verhältnis im 19. Jahrhundert

Das Geschlechter­verhältnis im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert sind Frauen den Männern in politischer, gesellschaftlicher und juristischer Hinsicht nicht gleichgestellt. Weibliche und männliche Eigenschaften werden stark voneinander getrennt und prägen die soziale Hierarchie der Geschlechter. Sie leiten sich aus der Anatomie und Physiologie ab, sind aber auch von Vorurteilen und Stereotypen geprägt. Der Mann gilt traditionell als stark, rational und aktiv, wohingegen der Frau Schwäche, Emotionalität und Passivität attestiert werden.

Folglich beherrscht der Mann den öffentlichen Raum von Staat und Politik, während die Frau in erster Linie durch ihre Rolle als Hausfrau und Mutter definiert wird. Mit der Aufklärung waren Forderungen nach der Gleichberechtigung der Frauen aufgekommen, die rasch eine wachsende Anhängerschaft fanden. Jedoch stoßen diese Emanzipationsbestrebungen auf erheblichen Widerstand, da sie das männliche Machtmonopol und somit einen gesellschaftlichen Grundpfeiler infrage stellen.

Die Unheil bringende Frau

Eiskalt und gleichgültig: So fixiert die Frau den Betrachter. Ihr zu verfallen, wäre fatal. Die Opfer türmen sich bereits unter ihr.

Welche Rechte können Männer Frauen zugestehen, ohne die eigenen Privilegien einzubüßen? In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts drängen Frauen immer stärker auf eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Die Angst vor der unberechenbaren Macht der Frau breitet sich aus. Sie manifestiert sich im Bild der skrupellosen Femme fatale (franz.: Unheil bringende Frau). Diese treibt die Männer – oder gar die ganze Menschheit – in den Ruin. Die Figur ist eine Warnung vor den Frauen. Auch Gustav Adolf Mossas männermordende Femme fatale weist auf ihre trügerischen Verführungskräfte hin.

Gustav Adolf Mossa, Sie, 1905, Öl und Vergoldung auf Leinwand, 80 x 63 cm, Musée des Beaux-Arts, Nizza

Sie thront auf einem Leichenberg. Auf den Beinen der Mörderin sind blutige Handabdrücke ihrer Opfer erkennbar.

Neben Totenköpfen hocken zwei Raben auf ihrem Haupt. Seit dem Mittelalter gelten die Aasfresser als Totenvögel.

Ihr Kopf wird gerahmt von einem Heiligenschein. Die Inschrift besagt: „Das will ich, so befehle ich’s, als Grund genügt mein Wille.“

Eine schwarze Katze sitzt in ihrem Schoß. Das Raubtier symbolisiert die weibliche Sexualität.

Mordwaffen zieren ihre Halskette: Pistole, Dolch und Giftkapsel.

Die Femme fatale ist seit dem 19. Jahrhundert der Inbegriff der Unheil bringenden Frau. Bei Schriftstellern, Philosophen und Künstlern ist dieser Typus äußerst beliebt und wird variantenreich geschildert. Auch mythologische und christliche Frauencharaktere werden in diesem Zusammenhang aufgegriffen und neu interpretiert.


Wer ist
schuld?

Die religiöse Ordnung gerät ins Wanken: 1859 erscheint Charles Darwins bahnbrechendes Buch „Über die Entstehung der Arten“.

Darwins Evolutionstheorie zufolge ist der Mensch das Resultat natürlicher Selektion. Beim Ringen der Lebewesen ums Überleben sei nur der erfolgreich, der mit den besten Eigenschaften ausgestattet ist. Darwins Forschung legt nahe, dass der Mensch nicht von Gott geschaffen wurde, sondern sich aus der Natur heraus entwickelt hat.

Auf diese Weise verliert die Kirche im 19. Jahrhundert die Deutungshoheit über die menschliche Ursprungsgeschichte. Obwohl die Wissenschaft die christliche Schöpfungslehre widerlegt, bleiben Adam und Eva als künstlerisches Motiv bestehen. Die Künstler nutzen die biblische Erzählung nun, um die Beziehung zwischen den Geschlechtern zum Thema zu machen.

Verführer­ische Femme fatale

Franz von Stuck, Adam und Eva, um 1920, Tempera auf Holz, 98 x 93,7 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main

Franz von Stuck inszeniert sie lasziv in der Rolle der dämonischen Verführerin. Um ihren Körper wickelt sich die Schlange; gemeinsam bieten sie Adam den leuchtend roten Apfel dar. Er greift jedoch nicht nach der Frucht, sondern zeigt auf Evas exponierten, nackten Körper – ihre erotische Wirkung tritt dadurch umso mehr in den Vordergrund.

Geteilte Sünde

Suzanne Valadon, Adam und Eva (Selbstbildnis mit André Utter), 1909, Öl auf Leinwand, 162 x 131 cm, Centre Pompidou, Paris, Musée national d’art moderne/Centre de création industrielle

Hier porträtiert sich die Künstlerin Suzanne Valadon als Eva und geht dabei selbstbewusst mit ihrer Nacktheit um. Für Adam hat ihr 20 Jahre jüngerer Partner André Utter Modell gestanden. Er unterstützt Evas Griff nach dem Apfel: Der Sündenfall wird gemeinsam verantwortet. Um das Werk 1920 im Salon des Indépendants in Paris ausstellen zu können, musste die Künstlerin Adams Genital mit einem Zweig verdecken. Die männliche Nacktheit wurde als anstößig empfunden, die weibliche hingegen nicht.

Die Situation der Künstlerinnen

Die Situation der Künstlerinnen

Im 19. Jahrhundert sind Frauen weitgehend vom offiziellen Kunstbetrieb ausgeschlossen. 1886 wird ihnen dann die Möglichkeit eröffnet, an der École des Beaux-Arts in Paris zu studieren; deutsche Kunsthochschulen folgen sogar erst ab 1919. Frauen sollten sich – so die weitverbreitete Vorstellung – auf ihre Funktion als Mutter und Ehefrau beschränken. Da sich dabei keine kreativen und geistigen Kräfte entfalten könnten, seien Frauen nicht in der Lage, sich ernsthaft als Künstlerinnen zu betätigen.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entsteht ein großer Variantenreichtum an Darstellungen von Adam und Eva. Sie zeigen, wie unterschiedlich die Beziehungen zwischen den Geschlechtern und die jeweiligen Rollen sein können.

Auguste Rodin, Eva, 1881 (Guss 1903–1917), Bronze, 175 x 51 x 63,5 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main
Julius Paulsen, Adam und Eva, 1887, Öl auf Leinwand, 148,5 x 155 cm, Statens Museum for Kunst, Kopenhagen
Pierre Bonnard, Der Mann und die Frau, 1900, Öl auf Leinwand, 115 x 72,5 cm, Musée d’Orsay, Paris
František Drtikol, Mutter Erde, um 1930/31, Silbergelatine-Abzug, getönt, 29,8 x 23,7 cm, Privatbesitz

Schwangere Eva: Während des Arbeitsprozesses wird Auguste Rodins Modell für die Eva schwanger, sodass er die Skulptur nicht vollendet. Ursprünglich war sie in Kombination mit einer Adam-Figur für das Großprojekt des „Höllentors“ geplant. Es scheint, als wolle sich Eva angesichts der ihr bewusst gewordenen Sündhaftigkeit und der Vertreibung aus dem Paradies in sich selbst verbergen.


Bringen Frauen
den Tod?

Seit Jahrtausenden kennen wir Geschichten von Frauen, die Unheil über die Menschheit bringen.

Beinahe unschuldig-naiv blickt die junge Frau den Betrachter an. Ihre helle Haut und das freizügige Kleid heben ihre Sinnlichkeit hervor. Völlig emotionslos präsentiert Salome das abgetrennte Haupt von Johannes dem Täufer. Nichts weist auf ihren blutigen Racheakt aus der Bibel hin. Jean Benner interessiert vielmehr die schockierende Verbindung von Grausamkeit und Erotik in ein- und derselben Figur.

Jean Benner, Salome, um 1899, Öl auf Leinwand, 118 x 80 cm, Musée des Beaux-Arts, Nantes

Die Rache der Salome

Die Rache der Salome

Die Evangelien von Markus und Matthäus erzählen die Geschichte, deren dramatischer Höhepunkt die Darbringung des Hauptes von Johannes dem Täufer ist. Herodes Antipas verstößt seine Frau, um Herodias zu heiraten – die Gemahlin seines Halbbruders. Dies verurteilt Johannes öffentlich, woraufhin Herodes ihn festnehmen lässt. Auf Herodias’ Forderung, ihn zu töten, geht ihr Gemahl jedoch nicht ein. Ein aufreizender Schleiertanz ihrer Tochter Salome betört Herodes so sehr, dass er verspricht, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Angespornt von ihrer Mutter, bittet Salome um das Haupt des Johannes, welches ihr schließlich auf einer Schale präsentiert wird.

Die Geschichte der Salome erfährt im 19. Jahrhundert eine grundlegende Wendung. Die allgemein verbreitete Furcht vor der unberechenbaren Macht einer Frau kommt darin zum Ausdruck. Die biblische Erzählung rückt immer stärker in den Hintergrund, während Salome als männermordende Femme fatale beschrieben wird. In Oscar Wildes Theaterstück von 1893 handelt Salome schließlich nicht mehr auf Bitten ihrer Mutter, sondern aus nicht erwiderter Liebe. Sie übernimmt somit die alleinige Verantwortung für Johannesʼ Tod.

Im Angesicht des Todes

Lovis Corinth, Salome II, 1900, Öl auf Leinwand, 127 x 147 cm, Museum der bildenden Künste Leipzig

Während der Henker noch das blutige Schwert hält und der Leichnam fortgetragen wird, öffnet Salome die Augen des toten Johannes mit spitzen Fingern. Der Tod kann sie nicht schockieren. Lovis Corinth bezieht sich auf eine Szene aus Oscar Wildes Tragödie. Die Geschichte wird facettenreich und mit all ihren Akteuren verbildlicht.

Blick auf den nackten Körper

František Drtikol, Salome, 1924, Pigmentdruck, 29,5 x 23,8 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main

František Drtikol reduziert seine Darstellung auf die nackte Salome und den Kopf des Johannes. Die konkrete Handlung tritt in den Hintergrund – viel wichtiger ist dem Künstler die Inszenierung des Körpers, das Spiel von Licht und Schatten. Thema seiner Fotografien ist immer wieder die vermeintliche Triebhaftigkeit der Frau, die er erotisch und teils verstörend ins Bild setzt.

Der Mann ist zur Hälfte Gott und zur Hälfte Tier. Die Frau ist einzig und allein Tier.

František Drtikol7

Spielarten des Grauens

Das Thema der starken, Unheil bringenden Frau erfreut sich großer Beliebtheit und wird von Künstlern anhand verschiedener Mythen immer wieder variiert.

Seit Jahrtausenden ist die männliche Angst vor der Macht der Frauen Thema von Erzählungen. Ob Pandora, Medusa oder die Sirenen, Eva, Judith oder Delila – Frauen sind verantwortlich für Tod, Verderben und Schmerz. Diese Furcht ist im 19. Jahrhundert besonders aktuell:

Die bis dahin gültigen Identitätsmuster von Mann und Frau werden infrage gestellt und jahrhundertealte Rollenfestlegungen und Geschlechterverhältnisse in ihren Grundfesten erschüttert. Diese Sorgen vor den Folgen der weiblichen Emanzipation werden auch künstlerisch aufgegriffen.

Max Liebermann, Simson und Delila, 1902, Öl auf Leinwand, 151,2 x 212 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main
Jeanne Mammen, Ohne Titel [Tod; Heiliger Antonius], undatiert [um 1908–1914], Aquarell, Bleistift und Tusche, 28,7 x 27 cm, Jeanne-Mammen-Stiftung, Berlin
John Collier, Klytämnestra, 1882, Öl auf Leinwand, 239,5 x 148 cm, Guildhall Art Gallery, London
Gustave Moreau, Ödipus auf Reisen oder Die Gleichheit vor dem Tod, undatiert, Öl auf Leinwand, 125 x 95 cm, Musée de la Cour d’Or – Metz Métropole

Der Kräfte beraubt: Delila triumphiert. Während der besiegte Simson zusammengesunken auf dem Bett liegt, hält sie ihre Beute in den Händen. Dass das Geheimnis um seine göttlichen Kräfte in Simsons Haaren steckt, konnte sie ihm mithilfe weiblicher Verführungskunst beim Liebesakt entlocken. Max Liebermann überträgt die biblische Szene in seine Zeit und präsentiert Delila als Femme fatale auf einem zerwühlten Bettlaken.

Vom Mythos in die Gegenwart

Bedeutet der Wandel Fluch oder Segen? Männerkreise aus Künstlern, Literaten und Philosophen diskutieren einerseits über die sich im Umbruch befindlichen Geschlechterverhältnisse – und lassen sich andererseits von der vermeintlich ruinösen, weiblichen Verführungskraft inspirieren.

Ich fühlte unsere Liebe wie einen Aschehaufen auf dem Boden liegend.

Edvard Munch8

Aufreibende Affären, regelmäßige Bordellbesuche und wilde Balzkämpfe in der Boheme-Szene prägen das Frauenbild von Edvard Munch. In seinen Gemälden sind sowohl seine privaten Enttäuschungen als auch die durch den gesellschaftlichen Umbruch ausgelöste Furcht vor dem weiblichen Geschlecht deutlich spürbar. Wie bei anderen Künstlern des beginnenden 20. Jahrhunderts steht nun nicht länger die mythologische oder christliche Femme fatale im Zentrum der Malerei. Es sind moderne Frauen, die jetzt dargestellt werden.

Edvard Munch, Asche, 1925, Öl auf Leinwand, 139,5 x 200 cm, Munch Museum, Oslo

Die dunkle Macht der Frauen, ihre sexuelle Anziehungskraft und das Ausgeliefertsein des Mannes sind immer wieder Themen in Munchs Werken. Aufrecht präsentiert sich hier die Frau dem Betrachter. Ihr unschuldig weißes Kleid ist weit geöffnet und gibt den Blick auf das sündig rote Unterkleid frei, während der Mann geschwächt und scheinbar verzweifelt in sich versunken ist.


Treuer Gatte
oder Lustmolch?

Um 1900 sind die familiären Rollen ungleich verteilt. Der Mann repräsentiert die Familie in der Öffentlichkeit, die Frau kümmert sich ausschließlich um Haushalt und Kinder. In diesem Familienmodell sind Seitensprünge dem Mann vorbehalten.

Noch bis 1976 darf in Deutschland ein Mann den Arbeitsvertrag seiner Ehefrau kündigen – auch gegen ihren Willen. Die rechtliche Grundlage hierfür bildet das Bürgerliche Gesetzbuch, welches im Jahr 1900 in Kraft tritt. Während der Mann zu dieser Zeit als versorgendes Familienoberhaupt gilt, erfüllt die Frau ihre Rolle als Haushälterin und Kindererzieherin. Die Familie wird als Staat im Kleinen gesehen. Wer als Mann am öffentlichen Leben teilhaben will, muss seine Angehörigen autoritär unter Kontrolle haben.

Er fungiert als Vormund, Beschützer und Ernährer. Die weiblichen Aufgaben beschränken sich darauf, dem berufstätigen Mann im Privaten den Rücken freizuhalten. Trotz des romantischen Ideals der Liebe sind die meisten Ehen arrangiert, denn sie werden als wirtschaftliche Investition gesehen. Kein Wunder also, dass zahlreiche Künstlerinnen und Künstler das Thema der Ehe in ihren Werken aufgreifen.

Frauenbildung

Frauenbildung

Frauen werden dem bürgerlichen Ideal gemäß an Mädchenschulen in Fertigkeiten ausgebildet, die ihrer sogenannten weiblichen Bestimmung entsprechen. Sie lernen Handarbeit, Tanzen, Klavierspielen, Singen oder Zeichnen. Es geht weniger um konkreten Wissenserwerb als vielmehr darum, dem späteren Ehemann zur Zierde und Unterhaltung zu gereichen.

In Sorge vereint

Hannah Höch, Die Braut (Pandora), 1924/27, Öl auf Leinwand, 114 x 66 cm, Berlinische Galerie – Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur

Der Titel des Werkes bezieht sich auf einen griechischen Mythos, dem zufolge Pandora trotz Verbots eine Büchse öffnet. Diese enthält alle denkbaren Übel, die nun die Menschheit bedrohen. Auch in Hannah Höchs Gemälde findet sich eine geflügelte Dose, dazu ein Herz mit angekettetem Klotz, ein Baby, ein tränendes Auge und weitere Objekte. Während der Mann steif und regungslos auf dem Sockel steht, blickt die Braut mit dem überdimensionierten Kinderkopf verunsichert nach oben. Die Hochzeit erscheint als ein von Sorgen geprägtes Ereignis.

Zur Ehe verurteilt

Thomas Theodor Heine, Exekution, 1892, Öl und Gouache auf Leinwand, 60 x 99 cm, Privatbesitz

Eine Frau mit einem blauen Richtschwert treibt einen Mann über den Steg. Verzweifelt vergräbt er sein Gesicht in die Hände, vor ihm läuft ein Ziegenbock – traditionell ein Verweis auf die männliche Sexualität. Umgeben sind sie von unzähligen schwarzen Schwänen, die das Gegenteil von Liebe symbolisieren. „Exekution“ ist eines von mehreren Werken, in denen Thomas Theodor Heine seine Ablehnung der bürgerlichen Eheschließung zum Ausdruck gebracht hat.

Ehebruch und Ehre

Ehebruch und Ehre

Im 19. Jahrhundert gelten Seitensprünge von Männern als leicht verzeihlich. Für Frauen können sie jedoch existenzvernichtend sein. Uneheliche Kinder haben keinerlei Anspruch auf Unterhalt oder die Anerkennung durch den Vater. Nicht nur finanziell bedeutet dies für Frauen ein hohes Risiko, sondern auch gesellschaftlich. Nach damaliger Ansicht ist die Ehre von Frauen an ihre „Reinheit“ gebunden. Daher wird von ihnen verlangt, enthaltsam zu leben beziehungsweise eine treue Ehe zu führen. Die männliche Ehre hingegen ist nicht an körperliche Bedingungen gekoppelt. Sie bleibt von einem Ehebruch oder vorehelicher Sexualität unberührt. Stattdessen definiert sich das Ansehen eines Mannes über berufliche und gesellschaftliche Erfolge sowie das Vertreten von Werten wie Mut, Wehrhaftigkeit und Stärke.

Die verbotene Stunde

Eine Begegnung der anderen Art: Es handelt sich wohl nicht um eine eheliche Zusammenkunft.

Félix Vallotton, Der Besuch, 1899, Gouache auf Karton, 55,5 x 87 cm, Kunsthaus Zürich

Der Mann empfängt die noch mit Mantel, Hut und Handschuhen bekleidete Frau. Die geöffnete Schlafzimmertür und die Uhr auf der Kommode sind Indizien für den weiteren Verlauf des Treffens. Die Uhr zeigt fünf – ein versteckter Hinweis auf erotische Abenteuer. Verheiratete Frauen in Paris haben nachts keine Gelegenheit für Avancen. Die „tea time“ jedoch bietet ihnen einen geschickten Vorwand für das Treffen mit anderen Männern.

Erforschung der Sexualität

Erforschung der Sexualität

Um die Jahrhundertwende verändert die aufkommende Sexualforschung die Vorstellung von zwei getrennten Geschlechterrollen. „Psychopathia sexualis“ (1886) von Richard Krafft-Ebing oder Havelock Ellis’ „Mann und Weib“ (1894) sind zentrale Publikationen in diesem Zusammenhang. Sigmund Freud schreibt aus psychoanalytischer Sicht über die Sexualität. Die Wissenschaftler setzen sich systematisch mit erotischen Trieben und sexuellen Neigungen auseinander. Sexualität wird ein öffentlich diskutiertes Thema. Konzepte wie das der „freien Liebe“ kommen in Mode, tradierte Beziehungsmodelle und Moralauffassungen werden kritisch hinterfragt.

Sex sells

Im 19. Jahrhundert gilt Prostitution als Massenphänomen.

Hungersnöte und Armut zwingen viele Landbewohner im 19. Jahrhundert in die Städte, wo sie Arbeit zu finden hoffen. Doch der rasche Zuzug kann kaum bewältigt werden. Es herrschen Massenarbeitslosigkeit und soziales Elend. Für Frauen, die in Großstädten unabhängig leben, ist Prostitution die lukrativste Einnahmequelle. Prostituierten wird vorgeworfen, Geschlechtskrankheiten zu übertragen; Syphilis und Tripper stehen für den sittlichen Verfall und werden als Bedrohung der Gesellschaft empfunden. Dafür verantwortlich gemacht werden vor allem Frauen.

Erst im 20. Jahrhundert entwickelt man schnell wirksame Therapien. Zwangsbehandlungen werden in erster Linie weibliche Prostituierte unterzogen, obwohl die Anzahl der in Beratungsstellen gemeldeten geschlechtskranken Männer deutlich höher ist.

Nachdem die Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler nach Hamburg übersiedelt ist, streift sie durch St. Pauli und hält das Nachtleben in verschiedenen Werken fest. Sowohl die selbstbewussten als auch die verbrauchten Prostituierten in ihrem Kampf ums Überleben faszinieren sie. So blickt auch Lissy erhobenen Hauptes zum Betrachter. Ihre aufreizende Pose und die beiden Freier in Hintergrund verorten die Szene in einem Bordell.

Elfriede Lohse-Wächtler, Lissy, 1931, Aquarell über Bleistift, 68 x 49 cm, Privatbesitz
Josef Scharl, Misshandelte Dirne, 1931, Öl auf Leinwand, 87,5 x 56,5 cm, Sammlung Hartwig Garnerus

Würgemale und blaue Flecken, entkleidet und kahl rasiert: Das Gemälde von Josef Scharl zeigt die Kehrseite der Prostitution. Die Frauen sind schutzlos der männlichen Gewalt ausgeliefert, die Zahl der Sexualverbrechen steigt an. Der eindringliche und gleichzeitig ausdruckslose Blick dieses Opfers lässt den Betrachter nachdenklich zurück.

Die Lust am Morden

Bestialische Taten sind kennzeichnend für die Schrecken des Ersten Weltkrieges und führen zu einem Werteverfall, der auch die Nachkriegszeit prägt.

Die Vergnügungssucht ist ein Ventil, um die grauenhaften Erlebnisse zu verdrängen. Künstler und Literaten sind bemüht, der gesellschaftlichen Krise Ausdruck zu verleihen – der Sexualmord wird für sie zum bedeutungsreichen Motiv.

Anreiz dazu geben reale Vorbilder wie Peter Kürten, der in den 1920er- und 1930er-Jahren Mädchen und Frauen tötete und ihr Blut trank, oder Jack the Ripper, der ab 1888 grausame Morde an Londoner Prostituierten verübte.

Heinrich Maria Davringhausen, Der Träumer II, 1919, Öl auf Leinwand, 119 x 121 cm, Hessisches Landesmuseum Darmstadt

In Gedanken versunken blickt der Mann ins Leere. Über ihm erscheint eine traumartige Szene der Zweisamkeit. Doch rasch erkennt man die Grausamkeit der Darstellung: Das blutige Messer liegt noch auf dem Tisch, der nackte Körper der Getöteten befindet sich im Hintergrund. An der Wand neben ihr ist eine Straßenszene auszumachen – womöglich ein Verweis auf den Ort, wo der Mörder sein Opfer kennenlernte.

Welcher Mann hat nicht in Momenten die Geliebte in solcher stillen Wut umbringen wollen?

Franz Blei, 19249
Fritz Lang, Metropolis, 1925/26, Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

Der verführerische Tanz der leicht bekleideten Frau verfehlt seine Wirkung nicht. Die Männer gieren nach ihr, haben die Kontrolle über ihr Handeln verloren. Doch von der Femme fatale droht Gefahr: Als vermenschlichter Roboter geschaffen, soll sie die Stadt Metropolis in den Ruin führen. Ihr Plan scheint aufzugehen: Sie hat die dekadenten Männer der Oberwelt in ihren Bann gezogen.

„Metropolis“ ist der Titel der düsteren Zukunftsvision von Fritz Lang. In seinem Film wird sowohl die Furcht vor der technologischen Vereinnahmung in der zusehends industrialisierten Gesellschaft thematisiert als auch die Angst vor der erstarkenden Frau.


Wer hat die
Hosen an?

Wieder die angestammte Rolle der Hausfrau und Mutter annehmen oder die neu errungenen rechtlichen, politischen wie gesellschaftlichen Freiheiten ausleben?

Während Frauen im Ersten Weltkrieg die Lücken auf dem Arbeitsmarkt füllen, in die Industrie und Wirtschaft drängen und ein neues Selbstbewusstsein entwickeln, kehren Männer häufig verletzt oder traumatisiert von der Front zurück. Als Folge der Emanzipationsbewegung führen immer mehr europäische Staaten das Wahlrecht für Frauen ein. 1918 ist es schließlich auch in der Weimarer Republik so weit, begonnen hatte Finnland 1906.

Auch nach Kriegsende strebt ein großer Teil der weiblichen Bevölkerung die eigene Erwerbstätigkeit an, sodass 1925 fast ein Drittel aller verheirateten Frauen arbeiten. Die traditionellen Geschlechterverhältnisse geraten ins Wanken.

Neue Rechte für die Frau

Neue Rechte für die Frau

Nur wenige Monate nach dem Sturz der Monarchie ebnet der Rat der Volksbeauftragten den Weg für das Frauenwahlrecht: Im November 1918 wird Bürgerinnen und Bürgern ab 21 Jahren das aktive und passive Wahlrecht zuerkannt. Fast 90 Prozent aller Wählerinnen beteiligen sich im Folgejahr an der Wahl; anschließend sind 10 Prozent der Abgeordneten weiblich. Die Parlamentarierinnen konzentrieren sich vor allem auf „Frauenfragen“, sie setzen unter anderem Mindestlöhne und Sozialversicherung für Heimarbeiterinnen durch, die Erweiterung des Mutterschutzes oder die Zulassung von Frauen als Rechtsanwältinnen und Richterinnen. Fragen der Wirtschaft oder Finanzen bleiben weiterhin die Domäne der männlichen Abgeordneten.

Hosenträgerinnen

Das Spiel mit den Rollen: Geschlechteridentitäten werden ausgetestet und hinterfragt.

Frauen fordern in den 1920er-Jahren immer stärker die gleichen Rechte wie die der Männer für sich ein und orientieren sich an traditionell männlichen Verhaltensmustern. Dieses Lebensgefühl drücken sie auch in ihrer Kleidung aus: weit geschnittene Hosen, Hemden mit Manschettenknöpfen, Bubikopf.

Der „Garçonne“-Stil wird durch Werbeplakate, Zeitschriftenillustrationen oder populäre Filme in die Öffentlichkeit getragen. Kritiker sehen in der modernen Kleidung eine Bedrohung der Werte und Normen, sie gefährde zudem die Fruchtbarkeit der Frauen.

Karl Hubbuch, Hilde mit Föhn, Fahrrad und Breuerstuhl, 1928/29, Aquarell über Lithokreide auf Karton, 57 x 74 cm, Sammlung Christina und Volker Huber

Selbstbewusst sitzt Hilde, die Lebensgefährtin des Malers Karl Hubbuch, in ihrem Sessel. Mit dem Föhn, einem damals hochmodernen Gerät, zielt sie lässig in Richtung Bett und stützt ihre Füße gleichzeitig auf ihr Fahrrad. Ein gänzlich ungewohntes Bild der Frau präsentiert Hubbuch hier – das zeigt sich auch an ihrem modernen Kleidungsstil.

Wann ist ein Mann ein Mann?

Während des Ersten Weltkrieges müssen Männer ihre Ehre beweisen und ihr Land verteidigen. Wer sich nicht zum Militärdienst gemeldet hat, wird verspottet und verhöhnt.

Nach dem Krieg kehren zahlreiche Männer von den Ereignissen seelisch und körperlich verletzt zurück. Die Erwartungen, die an Männer gestellt werden, stehen auf dem Prüfstand. Viele begeben sich auf die Suche nach einer neuen männlichen Identität.

Manikürte Fingernägel wirken der maskulinen Erscheinung entgegen.

Otto Dix, Bildnis Jean-Jacques Bernauer, 1937, Mischtechnik auf Leinwand, 169,8 x 90,2 cm, Privatbesitz Berlin

Volle, rote Lippen und lange Wimpern sind bis dahin vor allem aus Darstellungen von Frauen bekannt.

Steif wie eine Statue steht Jean-Jacques Bernauer Modell für das Bildnis von Otto Dix. Sein Anzug wirkt nicht wie aus weichem Stoff, sondern vielmehr wie eine schützende Rüstung. Edle Accessoires betonen die elegante Männlichkeit. Doch bei genauerem Hinsehen spielt auch der Porträtierte mit seiner Identität, die durchaus weibliche Züge zu erkennen gibt.

Mann oder Frau?

Claude Cahun, Selbstporträt, um 1922, Silbergelatine-Abzug, 13,9 x 9 cm, Courtesy of the Jersey Heritage Collections

„Männlich? Weiblich? Das unterscheidet sich von Fall zu Fall. Neutrum ist das einzige Geschlecht, das mir immer entspräche,“ erklärt Claude Cahun 193010. Geboren wird sie als Lucy Schwob und erkennt früh, dass sie nicht den gängigen Geschlechterrollen entspricht. Sie rasiert sich ihr Haar und arbeitet schließlich unter dem Pseudonym Claude Cahun – einem im Französischen geschlechtsneutralen Namen. Ihr Werk umfasst neben fotografischen Selbstporträts zahlreiche Texte, in denen sie die tradierten Rollenbilder kritisch hinterfragt.

Frau als Mann

Marcel Duchamp, L.H.O.O.Q., Teil von Boîte, 1919/1963, Farbabzug einer bemalten Postkarte, 32 x 25,1 cm (Blattmaß), Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Dauerleihgabe der Adolf-Luther-Stiftung Krefeld

Bürgerliche Ideale und konventionelle Kunstformen sind im künstlerischen Umfeld von Marcel Duchamp verpönt. Indem er eine Abbildung der Mona Lisa mit einem Kinn- und Schnurrbart – ein Symbol für bürgerliche Maskulinität – versieht, spielt er mit der weiblichen und männlichen Identität. Zudem belegt Duchamp das Bild mit den fünf Buchstaben „L.H.O.O.Q.“ – im Französischen gelesen wie „Elle a chaud au cul“, was im Deutschen „Sie hat einen heißen Hintern“ bedeutet. Somit verleiht er der Ikone der Weiblichkeit einen sexuell provokanten Charakter.

Grenzen überwinden

Die Schriften Sigmund Freuds rufen im beginnenden 20. Jahrhundert großes Interesse hervor. Der Wiener Nervenarzt versucht, die Psyche des Menschen umfassend zu erforschen.

1924 gründet sich die Gruppe der Surrealisten mit dem Ziel, das Unbewusste künstlerisch zu erschließen. Die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit soll durch das Sprengen vernunftbestimmter, normativer Schranken aufgehoben werden. Dabei lassen sich die Künstler von Sigmund Freuds psychoanalytischen Studien anregen.

Von den Surrealisten wird die Überwindung des Geschlechterkampfes angestrebt. Besonders interessieren sie sich für die Figur des Androgyns, eines mythologischen Zwitterwesens mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen. Der Androgyn symbolisiert für die Surrealisten sowohl die Überschreitung von Geschlechtergrenzen als auch die Synthese geschlechtlicher Unterschiede.

Max Ernst, Die Einkleidung der Braut, 1940, Öl auf Leinwand, 129,6 x 96,3 cm, Peggy Guggenheim Collection, Venedig

Vier Brüste, ein kugelrunder Bauch und ein Penis: Max Ernst hat eine androgyne Gestalt in die untere rechte Ecke seines Gemäldes gemalt. Im Bildzentrum befindet sich ein in ein Federkleid gehüllter nackter Frauenkörper mit Vogelkopf. Daneben deutet ein grünes, vogelartiges Mischwesen mit seinem Speer auf das verdeckte Geschlecht der Frau.

Der Künstler hat sich in seinem Œuvre häufig selbst mit dem Vogelwesen, das er „Loplop“ nannte, identifiziert. Die Frauenfigur kann angesichts des Werktitels als Leonora Carrington bestimmt werden, die Ernsts Partnerin war, als er das Bild begann. Der Künstler bezeichnete sie als „Braut des Windes“.

Die wunderbare Frau

Die Frau nimmt im Schaffen der Surrealisten eine wichtige Position ein. Sie erachten die weibliche Emanzipation als eine der Grundvoraussetzungen für die Revolutionierung der bürgerlichen Gesellschaft.

Dennoch sind die Surrealisten zunächst eine reine Männergruppe. Erst in den 1930er-Jahren stoßen Künstlerinnen dazu. Die Frau wird als rätselhaftes, übermenschliches Wesen idealisiert, das zwischen Mensch und Natur vermittelt. Die dargestellten weiblichen Figuren bleiben ambivalent zwischen der Rolle der bedrohlichen Verführerin und derjenigen einer Heilsbringerin. Nicht selten entstehen dabei hybride Geschöpfe.

Meret Oppenheim, Mein Kindermädchen, 1936/1967, Metall, Schuhe, Faden und Papier, 14 x 21 x 33 cm, Moderna Museet, Stockholm

Es wäre an der Zeit, die Ideenwelt der Frau auf Kosten derjenigen des Mannes in den Vordergrund zu stellen […].

André Breton, 194411

Die Künstlerinnen im Kreis der Surrealisten sind vielfach darum bemüht, ein anderes Frauenbild als das ihrer männlichen Künstlerkollegen zu vermitteln.

Meret Oppenheim spielt humorvoll mit der weiblichen Rolle als passivem Lustobjekt, indem sie dem Betrachter ein Paar Stöckelschuhe wie einen Gänsebraten auf einem Tablett darbietet. Die Pumps können dabei für den weiblichen Körper stehen und die Schnüre für männliche Fesselfantasien.

Zwiegespalten

Frida Kahlo, Selbstbildnis, Marte R. Gómez gewidmet, 1946, Bleistiftzeichnung, 38,5 x 32,5 cm, Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch, Berlin

Links die wallenden Haare, rechts der streng geflochtene Zopf. Die mit den Surrealisten verbundene Künstlerin Frida Kahlo inszeniert sich in ihrem Selbstporträt exotisch und wild auf der einen, zivilisiert und gebändigt auf der anderen Seite.

Auffällig ist ihre durchlaufende Augenbraue, die bei näherer Betrachtung die Form eines Kolibris zu erkennen gibt. Der Vogel verkörpert im mexikanischen Volksglauben das Glück in der Liebe, wobei er bei Kahlo häufig für Enttäuschungen in der Beziehung zu ihrem Mann, dem Künstler Diego Rivera, steht.

Frida Kahlo, Der kleine Hirsch, 1946, Öl auf Hartfaser, 22,5 x 30,2 cm, Privatbesitz

Frida Kahlos Selbstbildnis als „Der kleine Hirsch“ ist symbolgeladen. Aus der Kombination des weiblichen Kopfes und des männlichen Tierkörpers ergibt sich eine androgyne Erscheinung. Die Pfeile verweisen auf Darstellungen des heiligen Märtyrers Sebastian, der von Bogenschützen getroffen wurde. Der Hirsch gilt als Opfertier. Kahlo nutzt diese Symbolhaftigkeit, um ihrer emotionalen Verletzung, die durch Diego Riveras eheliche Untreue verursacht wurde, Ausdruck zu verleihen.

Gleichzeitig spielen die Verwundungen auf die körperlichen Leiden der Künstlerin an. Jedoch finden sich in dem Gemälde ebenso Details, die Hoffnung verheißen: Der blaue Ozean und die Blitze im Hintergrund verkörpern die Kräfte der Natur, die Kahlo als weibliches, schützendes Reich empfand.

Franz von Stuck bis Frida Kahlo:
Die Diskussion um das Verhältnis der Geschlechter zueinander erfuhr in der zweiten Hälfte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts radikale Veränderungen, die sich auch in der Kunst niederschlugen.

Die grundlegenden Fragestellungen sind noch heute aktuell und werden ähnlich intensiv diskutiert. Sind Mann und Frau wirklich gleichberechtigt? Sind Geschlechter ein soziales Konstrukt? Was ist weiblich und was männlich? Eines ist sicher:

Der Geschlechterkampf ist
längst nicht abgeschlossen.

Geheimtipp

Lee Miller gelingt mit ihrem Foto ein ebenso geschickter wie ironischer Kunstgriff.

Lee Miller, Akt Rückenansicht, 1930, Ausstellungsabzug, digitaler C-Print, 27 x 22 cm, Lee Miller Archives

Ich würde lieber ein Foto machen, als eines zu sein.

Lee Miller12

Nackt sind Rücken und Gesäß fotografiert. Lee Miller hat den Körper vor einem dunklen Hintergrund inszeniert und den Ausschnitt bewusst gewählt: Auf einmal erinnert der weibliche Akt doch eher an ein männliches Genital.

Nach anfänglicher Tätigkeit als internationales Modell beginnt die Künstlerin 1929 eine Fotografieausbildung bei Man Ray in Paris. Kurz darauf eröffnet sie ihr eigenes Fotostudio. In ihren Aufnahmen hinterfragt Miller gesellschaftliche Geschlechterrollen. Ab 1942 arbeitet sie als Kriegsjournalistin in einem Beruf, der bis dato eine Männerdomäne dargestellt hat.